Braucht der Einkauf einen Human Touch?
Im Einkauf brauchen wir heute neue Erfolgsfaktoren, um die aktuelle Situation zu bewältigen und die Zukunft zu gestalten. Mit Blick auf die immer größeren Herausforderungen und Unberechenbarkeiten ist klar, dass sich etwas verändern muss – auch im Einkauf. Doch braucht es dafür einen Human Touch?
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Sehen wir uns zunächst an, was mit Human Touch gemeint ist. Per Definition versteht man unter Human Touch, Einfühlungsvermögen und Verständnis für Mitmenschen aufzubringen. Doch was bedeutet das für den Einkauf? Mit Sicherheit haben Sie von mir schon einmal den Satz „Im Einkauf liegt der Gewinn und der wird von Menschen gemacht“ gehört oder gelesen. Und auch hier passt er wie die Faust aufs Auge. Der Human Touch gewinnt immer mehr an Bedeutung. Deutlich wird das zum Beispiel durch das neue Lieferkettengesetz oder das Thema Nachhaltigkeit. Auch das Verhandeln auf Augenhöhe und partnerschaftliche Beziehungen zu Lieferanten sind ohne den Human Touch kaum möglich. Durch diesen wird das Vertrauen gestärkt und die Sensibilität erhöht, wodurch mehr Sicherheit für beide Seite entsteht.
Human Touch – eine Geschichte aus der Praxis einer Einkäuferin
Gerne möchte ich Ihnen erzählen, wie ich als junge Einkäuferin realisierte, was Human Touch ist und wie er wirkt. Es stand eine taffe Verhandlung mit einem Lieferanten an. Ich war eine junge, dynamische Einkäuferin, die noch nichts von Human Touch oder dergleichen gehört hatte und wollte die besten Konditionen aushandeln. Meine Vorbereitung für die Verhandlungen mit dem Geschäftsführer aus der Metallbranche waren erstklassig was Zahlen, Daten und Fakten anging. Als ich jedoch den Besprechungsraum betrat, spürte ich schon, dass die Stimmung sehr angespannt war. Der Geschäftsführer, der mir gegenübersaß, hatte Schweißperlen auf der Stirn und eine ungesunde gräuliche Gesichtsfarbe. Mir war klar, dass es heute anders laufen wird als sonst und es keine klassische Verhandlung aufkommt. Ich fragte meinen Verhandlungspartner, ob denn alles in Ordnung sei und er antwortete mit einem tiefen Seufzen: „Frau Götsch, ganz ehrlich, wenn ich heute den Auftrag nicht bekomme, dann muss ich noch am Abend 200 Mitarbeiter entlassen.“ In diesem Moment ging eine große Verantwortung auf mich über und das Thema Einfühlungsvermögen bzw. Human Touch wurde mit einem Mal greifbar und wichtig.
Reaktionen und Zeit für Veränderung
Die Reaktionen von meinen verschiedenen Vorgesetzten, die ich daraufhin erhielt, haben mich teilweise schockiert. Ein Chef aus Deutschland machte mich fast schon runter und meinte, dass der Verhandlungspartner mit mir gespielt habe, und ich solle mich nicht über den Tisch ziehen lassen. Und dass wir jetzt erstmal gar nichts machen. Ein anderer Vorgesetzter, ein Warengruppenverantwortlicher aus Spanien, mit dem ich sprach, hatte den Human Touch verstanden und wollte wie ich eine Lösung für den Verhandlungspartner finden. Auch wenn diese am Ende ein bisschen anders ausfiel, als ursprünglich geplant war, hatten wir alle ein gutes Gefühl dabei.
Ich finde es extrem wichtig, dass der Einkauf seiner Verantwortung nachkommt – auch den Lieferanten gegenüber. Gerade in den heutigen Krisenzeiten spielt das eine zentrale Rolle für den Erfolg des Einkaufs. Ein Kollege von mir brachte es gut auf den Punkt, denn er sagte, dass wir mittlerweile in einem Verkäufermarkt agieren und viele Einkäufer jetzt das zurückgezahlt bekämen, was sie in den letzten Jahren versäumt haben zu tun oder übertrieben ausgenutzt haben.
Fünf Zeichen, dass Sie dem Verhandlungspartner egal sind
In Verhandlungen gibt es fünf Anzeichen dafür, dass wir dem Verhandlungspartner im Grunde genommen egal sind, sprich, es keinen Human Touch gibt:
- Es wird nur über Savings gesprochen, über die Person wird hinweggegangen.
- Es fehlt an den einfachsten Formen der Wertschätzung. Ein Danke für die Leistung, ein abgeschlossenes Projekt oder geleistete Überstunden kommt nicht. Die Anerkennung dem Lieferanten gegenüber fehlt komplett.
- Es gibt kein Vertrauen. Stattdessen wird die Meinung vertreten, dass nicht die besten Lösungen vom Verhandlungspartner kommen und man ihm nicht vertrauen kann.
- Es herrscht mangelnde oder schlechte Kommunikation. Dadurch kommt es teilweise zu Grenzüberschreitungen, im schlimmsten Fall zu Beleidigungen. Es herrscht ein rauer Ton, der demotivierend ist.
- Die Wertschätzung ist nur geheuchelt. Wir alle merken schnell, ob die uns entgegengebrachte Wertschätzung echt ist und von Herzen kommt oder nur oberflächlich oder gar ironisch ist.
Wenn Einkäufer einen dieser fünf Aspekte oder mehrere in Kombination in einer Verhandlung spüren, dann sollten sie sofort an den Human Touch denken und dagegen steuern. Es zahlt sich aus, wenn die Verhandlungspartner auf Augenhöhe sind und sich mit Respekt und Wertschätzung gegenübertreten.
Partnerschaftliches Krisenmanagement oder Holzhammermethode?
In der jetzigen Zeit ist mehr denn je offensichtlich, dass der Einkauf nicht mit Druck oder Härte vorgehen sollte, sondern mit Weitsicht und partnerschaftlich. Denn nur so lassen sich die diversen Krisen managen, in denen wir uns befinden. Der Human Touch im Einkauf gilt sowohl für Geschäftspartner, Kunden und Lieferanten als auch für jeden selbst im Sinne des Selbstmanagements. Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch einige Fragen zum Nachdenken mit auf den Weg geben:
- Sehen Sie Ihren Geschäftspartner als Lösungsgeber?
- Haben Sie Interesse an den Menschen und wissen auch, was hinter den Kulissen los ist?
- Sagen Sie auch mal Danke für die Leistungen der Mitarbeiter, Kollegen und Lieferanten?
- Klopfen Sie sich auch gerne mal selbst auf die Schulter bei abgeschlossenen Projekten oder angefallenen Überstunden?
- Vertrauen Sie als Einkaufsleiter Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wenn es darum geht, die besten Lösungen zu finden?
Welche Rolle spielt der Human Touch bereits in Ihrem Einkauf? Ich freue mich darauf, mit Ihnen auf LinkedIn oder in einem persönlichen Termin darüber zu sprechen.
Mehr zu diesem und anderen Themen für zukunftssichere Strategien im Einkauf gibt es auch zum Nachhören in meinem Podcast.