Einkaufs-Coach Tanja Dammann-Götsch „Der Einkauf sollte die Gunst der Stunde nutzen“
„Die Corona-Krise bietet dem Einkauf die Chance, das Standing im Unternehmen zu verbessern, und das sollte er nutzen“, sagt Tanja Dammann-Götsch im Gespräch mit MBI Einkäufer im Markt.
Einkäuferinnen und Einkäufer könnten momentan ganz anders auftreten und fänden Gehör auch bei Themen, mit denen sie in den Zeiten vor Corona vor die Wand gelaufen wären, berichtet die Einkaufstrainerin aus zahlreichen Gesprächen. Beispiel Second-Source: „Ich sage den Leuten, nutzt die Zeit und schaut euch eure Warengruppen an. Wo gibt es Abhängigkeiten? In diesem Fall sollte eine zweite Bezugsquelle aufgebaut werden. Früher hätte der Einkauf zu hören bekommen: Warum denn, wir bekommen die Teile doch auch so? Das hat sich dank Corona geändert.“
Ein großes Potenzial sieht sie beim Thema technische Spezifikationen. Diese seien oftmals so eng gefasst, dass nur ein einziger Lieferant sie erfüllen kann. Kein Wunder, kommt doch die Spezifikation häufig vom Lieferanten selbst. „Das darf man eigentlich keinem erzählen“, kommentiert Dammann-Götsch. Solche „Karteileichen“ würden manchmal jahrzehnte-lang mitgeschleppt, ohne dass sich jemand Gedanken darüber mache.
„Dabei trifft den Einkauf keine Schuld, das war halt so üblich im Unternehmen. Bei Gesprächen über Spezifikationen geht es ums Eingemachte,“ weiß die Expertin, die selbst als Einkäuferin in der Automobilindustrie gearbeitet hat. „Da erweist sich, ob die Beziehung zum Lieferanten eine partnerschaftliche ist oder ein Abhängigkeitsverhältnis. Und wenn der Lieferant kein Entgegenkommen zeigt, dann muss der Einkauf gegensteuern. Dabei sollte er sich mit Qualitätssicherung, Produktion, Logistik, Produktmanagement und Vertrieb abstimmen.
Vorbehalte gegen Homeoffice
Die Sars-CoV-2-Pandemie hat dem Einkauf aber nicht nur die Verletzlichkeit globaler Lieferketten vor Augen geführt. Gewöhnen mussten sich die Einkäufer auch an eine andere Art des Arbeitens. So ist die Fahrt oder der Flug zum Lieferantenbesuch nicht mehr ohne weiteres möglich und viele Mitarbeiter sind im Homeoffice. Für Einkaufsleiter sei das Führen im Homeoffice eine echte Herausforderung gewesen, sagt Tanja Dammann-Götsch. „In der ersten Zeit der Corona-Krise war ich erstaunt darüber, wie schwer sich die Unternehmen damit getan haben, die interne Kommunikation über digitale Tools zu organisieren. Große Vorbehalte gab es beim Thema Homeoffice, vor allem in mittelständischen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter gern im unmittelbaren Umfeld haben. Hier gab es anfangs wenig Akzeptanz.“ Mittlerweile hätten aber auch die Geschäftsleitungen die Vorteile von Homeoffice und virtuellen Meetings erkannt: „Die Unternehmen sehen, was sie dadurch an Zeit und Geld sparen können. Man muss nicht mehr jeden Monat ins Flugzeug steigen, um einen Lieferanten oder Kunden zu besuchen. Das ist ein Trend, der bleiben wird.“
Mark Krieger