Kostenreduzierung oder Innovationseinkauf?

Wie lautet die richtige Strategie in der aktuellen Wirtschaftslage.

Aktuelle Wirtschaftslage

Im Herbeireden von Krisen macht uns Deutschen so schnell keiner was vor. Sicherlich ist in der aktuellen Marktsituation die „German Angst“ kein guter Ratgeber. Sie führt letztendlich zu noch mehr Verunsicherung. Ja, die Anzeichen für eine nahende Rezession mehren sich. Bereits wird davon gesprochen, die Konjunkturampel sei auf „rot“ gesprungen. Als ein Indiz unter vielen sticht die Berichterstattung zur diesjährigen IAA heraus. Von so vielen Negativschlagzeilen wurde die Branche nicht einmal in Zeiten der Abgasaffäre erschüttert. Drohender Brexit, der Handelsstreit zwischen den USA und China, weltweite Klimaproteste, der in Misskredit geratene Diesel und zugleich der ungebrochene Trend der Autokäufer zum SUV. Die aktuelle Lage lässt sich daher nicht gerade als rosig bezeichnen –schon gar nicht für den Einkauf. Vom bevorstehenden Strukturwandel mal abgesehen ist es völlig normal ist, dass nach einer (langen) Phase der Hochkonjunktur Schwankungen auftreten. Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, ist längst darauf vorbereitet. Die meisten, so mein Eindruck, müssen jedoch deutlich nachbessern. Der Brandbrief des Daimler-Vorstands Ola Källenius nach der IAA zum Wachrütteln der Führungskräfte spricht in diesem Zusammenhang Bände. Wie jetzt eine sinnvolle Einkaufsstrategie für die Automobilbranche aussehen könnte, lässt sich nicht pauschal beantworten. Schließlich hängt sie von den jeweiligen Unternehmenszielen ab. Unterstellt man jedoch, dass diese mit „Wachstum“ und „Zukunftsfähigkeit“ zu tun haben, dann liegt es auf der Hand, dass Investitionen gerade beim Einkauf notwendig sind.

Wo liegen Gefahren, wo Chancen für Einkäufer?

Auch wenn es in Deutschland niemand gerne hört: Die Ära des Diesels geht zu Ende. Nicht von heute auf morgen, aber es ist absehbar. Die Zukunft liegt in emissionsarmen Technologien. Wir befinden uns daher in der spannendsten Phase im Konjunkturzyklus. Denn mit beginnender Rezession müssen unbedingt die Weichen für den nächsten Boom gestellt werden. Mit einem neuen Aufschwung ist in ca. 7 Jahren zu rechnen, so die Theorie, die sich mehrfach bewährt hat. Keine große Zeitspanne für den Einkauf, der unter keinen Umständen Gefahr laufen darf, auf Versorgungsengpässe zuzusteuern. Der Wettlauf um die beste Technologie mit der niedrigsten CO2-Billanz ist noch nicht entschieden. Langfristig werden allein innovative und nachhaltige Lösungen Marktvorteile sichern. Ob batteriebetriebene Elektroautos oder Wasserstoffautos mit Brennstoffzelle das Rennen machen – in allen Unternehmen der Automobilindustrie wird der Einkauf das Zünglein an der Waage sein. Denn gerade nachhaltige Technologien bergen ein hohes Versorgungsrisiko. Rohmaterialen sind schwer zu bekommen. Nur wer sich einen guten Zugang zu deren wichtigsten Märkten erarbeitet, wird dem veränderten Nachfrageverhalten gewachsen sein. Schließlich hängt der Unternehmenserfolg künftig auch von der Verfügbarkeit von Nickel, Platin und den Metallen der Seltenen Erden ab. Zudem steht der Automotive-Einkäufer auf den Rohstoffmärkten in Konkurrenz mit den Herstellern von Smartphones und Flachbildschirmen. Unter Umständen müssen neue Quellen für die begehrten Metalle erschlossen werden. Sogar das „Preisdrücken“ der letzten Jahre kann heute noch unerwünschte Folgen nach sich ziehen. In einer zeitgemäßen Einkaufsstrategie hat es nichts mehr zu suchen. Ohne Fairness im Umgang mit den Anbietern der begehrten Rohstoffe besteht das Risiko, sich in eine Sackgasse zu manövrieren. Ohne nachhaltig strategische Ausrichtung des Einkaufs riskiert der Einkäufer – wieder einmal – ins Hamsterrad zu geraten und zum reinen „Beschaffer“ statt zum Unternehmensgestalter zu werden. Selbstverständlich ist auch die Politik gefragt, um die Handelsbeziehungen zu den Ländern mit Rohstoffvorkommnissen zu fördern. Ganz abgesehen von anderen flankierenden Maßnahmen, die in Zeiten einer drohenden Rezession vonseiten der Regierung sinnvoll wären. Im Klartext: investieren müssen nicht nur die Unternehmen, sondern auch der Staat. Mit der „Schwarzen Null“ lässt sich das vermutlich nicht in Einklang bringen. Denn wer kauft schon ein Auto, das sich nur auf Kurzstrecken betanken lässt? Beim Zapfsäulennetz besteht Nachholbedarf – bezüglich e-Ladestellen und insbesondere bei den noch sehr raren Wasserstofftankstellen.

Wie muss sich der Einkauf jetzt verändern?

Die Basics im Einkauf ändern sich nie. Nach wie vor lautet die Kernaufgabe: Die benötigten Güter, Energien und Dienstleistungen in zweckentsprechender Qualität, in optimaler Menge preisgünstig, termingerecht für den Ort an dem sie benötigt werden zu beschaffen. Das bedeutet jedoch gerade im Hinblick auf die Neuentwicklung von emissionsarmen Antriebssystemen, dass der Einkauf unbedingt strategisch in die Unternehmenspolitik eingebunden werden muss. In der Vergangenheit lautete die Antwort auf Konjunkturschwankungen in Richtung Rezession stets: Kosten einsparen, Reisen absagen, den Einkauf verschlanken. Das wäre bei der bevorstehenden größten Transformation in der Geschichte der Autoindustrie fatal. Einen Rückstand in der Beschaffung gilt es unbedingt zu vermeiden. Initiative ist jetzt gefragt. Das bedeutet aber auch für Einkäufer, dass sie dringend ihre Komfortzone verlassen müssen. Sich hinter dem Laptop verstecken, wie es die Generation Y so gerne macht, das sollte Tabu sein. Stattdessen heißt es jetzt: Länder besuchen, neue Märkte ausfindig machen, Menschen treffen, immer wieder die Karte der internationalen Kommunikation ausspielen und das Ohr an den Puls der Zeit legen. Das kann man nicht im Großraumbüro oder im Homeoffice. Dafür muss man sich bewegen. Nur auf Reisen, durch Besuche der Produktionsstätten lässt sich ein sinnvolles Lieferantenmanagement gewährleisten, das auf einer verlässlichen Einordnung aller Lieferanten in Puncto Technologie, Qualität, Service und Preis beruht. Als Botschafter ihres Unternehmens tragen Einkäufer auf ihren Reisen zum Imagegewinn bei.

Business as usual oder agile Arbeitsmethoden?

Um den Herausforderungen der Zeit gewachsen zu sein, rate ich zu dazu, interdisziplinäre Teams zu bilden. Einkäufer, Ingenieure und Marketingstrategen können gemeinsam eine schlagkräftige Einheit bilden. Da sie in vielerlei Hinsicht Neuland beschreiten, lohnt es sich auch, alte Arbeitsmethoden zu überdenken. Folgende Fragestellungen können bei einer Entscheidung helfen: Dient die etablierte Vorgehensweise einem schnellen Wandel oder ist sie eher hinderlich? Lohnen sich lange Meetings? Ist eine Projektarbeit nach der „Wasserfall-Methode“ mit Prozessschritten von oben nach unten, bei denen Fehler unter Umständen erst spät bemerkt werden, noch zeitgemäß? Welche Möglichkeiten bieten neue agile Methoden? Meine Erfahrung zeigt, dass agiles Projektmanagement sehr viel besser in die moderne Zeit passt. Methoden wie Scrum steigern die Effizienz, bringen schneller Ergebnisse und motivieren die Mitarbeiter. Individuen und Interaktionen werden hierbei als wichtiger erachtet als Prozesse und Werkzeuge. Rasche Reaktion auf Veränderung steht über dem Befolgen eines Plans. Im „agilen Einkauf“ liegt meiner Auffassung nach die Zukunft.

Hinweis

Artikel erschienen in der Beschaffung Aktuell Redaktion Frau Schulz-Rohde


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