Krisen, steigende Rohstoffpreise, einbrechende Wechselkurse, insolvente Lieferanten – der Einkauf muss schnell reagieren
März 2020 – als Mitglied einer Task Force bei einem Automobilzulieferer beschäftigt uns das Thema: Wie gehen wir mit den insolventen Lieferanten um? Seitdem sind die Krisen, die der Einkauf zu bewältigen hat, nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Neben der Pandemie kämpft der Einkauf mit den eingebrochenen Lieferketten zum Beispiel durch die Flut im Suezkanal. Und erst vor Kurzem las ich in einem Artikel, dass die Produktion in China erneut eingestellt werden muss, da dort eine Stromknappheit herrscht. Krisenmanagement ist das Gebot der Stunde im Einkauf.
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Der Einkauf muss schnell und vorausschauend reagieren, um nicht in den Krisen zu versinken. Was ich an dieser Stelle betonen möchte, ist, dass wir insbesondere Einkäufer mit einem Gespür für Krisenmanagement brauchen. In der eingangs erwähnten Task Force lag der Fokus auf den kritischen Lieferanten, die kurz vor der Insolvenz standen. Unsere Aufgabe war es, die Lieferkette genauer zu betrachten und in den Mittelpunkt zu stellen.
Praxiserfahrung – offener Dialog und realistische Einschätzung
Was haben wir gemacht? Wir haben zunächst die Top 15 Lieferanten genauer unter die Lupe genommen. Das ging an der einen oder anderen Stelle sogar so weit, dass der Zulieferer eine finanzielle Unterstützung angeboten bekam, um aus seinen Liquiditäts-Engpässen herauszukommen. Hilflos mit anzusehen, wie ein Lieferant immer weiter in die Krise rutscht, war selbstverständlich keine Option. Mit Sicherheit spielte es dabei eine Rolle, dass wir im Automotive Bereich tätig waren. Dort kann es sich niemand leisten, einen Produktionsstillstand bei einem OEM zu verursachen, sprich einem Automobil-Zulieferer, der an einen Automobilhersteller, wie zum Beispiel BMW, Audi, Daimler usw. liefert. In unserer Task Force haben wir schnell festgestellt, dass es extrem wichtig war, Nähe zu den Lieferanten aufzubauen, mit ihnen in den Dialog zu treten, Dinge offen anzusprechen und auf der anderen Seite auch dem Lieferanten die Möglichkeit einzuräumen, über seine Sorgen und Probleme zu sprechen. Einen so offenen Umgang mit Problemen, wie in der momentanen Krisensituation, habe ich in der Automobilindustrie nur selten erlebt. Bei diesem Projekt war aber ebenfalls eine realistische Einschätzung der kritischen Lieferanten gefragt. Droht bei diesen eine Überschuldung? Wir hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz? Welche Indikatoren geben hierfür den Ausschlag? Die zentrale Frage war: „Wo steht der Lieferant jetzt?“ Wir setzten eine Indikatoren-Checkliste auf, um das in regelmäßigen Abständen abfragen zu können. Ein Learning hierbei war, wie wichtig eine akribische Kenntnis der Warengruppe ist.
Spezifikationen und technische Angaben prüfen
Kaum zu glauben, was jetzt folgt. Wir hatten einen Fall, bei dem wir eine technische Spezifikation innerhalb einer Warengruppe eines Zeichnungsteiles hatten. Das Produkt wird schon seit 30 Jahren gekauft. Derjenige, der es ursprünglich designte, war schon lange in Rente. Es gab zwar vage Informationen, welche Spezifikationen dieses Teil haben soll, aber so richtig wusste es am Ende keiner. Solche Wissenslücken zielen gerade in einer Situation, in der der Lieferant als kritisch eingestuft wurde, klar darauf ab, dass eine zweite Lieferquelle aufgebaut werden muss. Allerspätestens dann gilt es, Spezifikationen und technische Angaben zu überprüfen. Diese Aufgabe kann nicht allein der Einkauf übernehmen, weshalb auch in unserer Task Force jemand aus dem Produktionsbereich, Operations, dem Qualitätsbereich und zeitweise auch aus dem Controlling bei den Team Meetings dabei war. Solche Projekte lassen sich auch nur stemmen, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, denn hier die Spezifikationen im Blick zu haben, hat uns auch jede Menge Zeit gekostet.
„Killerprodukte“ identifizieren und auf mehrere Lieferanten setzen
In Ausschreibungen ist meine klare Empfehlung, nachdem Sie sich die Spezifikationen angesehen haben, die A-Produkte zu identifizieren, die wirklich zum „Showkiller“ werden können, wenn die Produktion bei Ihrem Lieferanten nicht mehr läuft. Das ist in nahezu jeder Branche umsetzbar und gilt nicht nur für die Automobilindustrie. Sie brauchen drei Top-Lieferanten. Die Priorisierung sollte bei drohenden Lieferengpässen stets im Auge behalten werden. Ich spreche immer gerne von den Big Five im Einkauf (Preis, Service, Technologie, Qualität, Nachhaltigkeit), die auch trotz einer Krise nicht vernachlässigt werden dürfen. Und in der Technologie steckt natürlich auch Innovation. Das heißt trotz Krisenmanagement sollten Sie stets ein Gespür dafür haben wie Sie, zusammen mit einem crossfunktionalen Team, Lieferengpässen entgegenwirken und alle anderen Punkte im Blick behalten.
Es kann vorkommen, dass der eine oder andere Top Lieferant Insolvenz anmeldet. Tritt diese Situation ein, ist es hilfreich, vorausschauend zu agieren. Sobald die Gläubiger mit an Bord sind oder man im Ausland unterwegs ist, wird das zunehmend schwieriger. Wenn bestimmte Indikatoren hin zu einer drohenden Insolvenz zeigen, gilt es auch rechtzeitig zu prüfen, wem die Maschinen und das Werkzeug gehören. Das mag sich banal anhören, aber wir mussten schon die Erfahrung machen, dass es an Werkzeug, Bezeichnungs- und Inventarschildern fehlte und dass es kaum bis keine Möglichkeiten gab, die Maschinen bei einem Vorlieferanten rauszuholen.
Gespür statt Holzhammer
In Krisen herrscht immer eine angespannte Stimmung, weshalb es wichtig ist ein Gespür für die Ausmaße und Auswirkungen zu haben. Das ist meiner Meinung nach im Krisenmanagement um ein Vielfaches wirkungsvoller als mit der Holzhammermethode vorzugehen. Einkäufer mit Gespür, die sich in die Situation hineinversetzen, Lösungen finden und auch ein Gespräch auf Augenhöhe mit Lieferanten führen können, sind Goldwert.
Wenn auch Sie gerade mit einer Krise zu kämpfen haben, dann lassen Sie uns gerne sprechen und eine Lösung finden. Mehr zu diesem und anderen Themen für zukunftssichere Strategien im Einkauf erfahren Sie ab sofort auch in meinem brandneuen Podcast – hören Sie jetzt rein.