Nearshoring – die Zukunft im Einkauf?
Einkaufsexpertin Tanja Dammann-Götsch zeigt auf, was hinter dem Einkaufstrend Nearshoring steckt, und erläutert die Vor- und Nachteile.
Die Krisen der jüngsten Vergangenheit haben die Stabilität der Lieferketten auf eine harte Probe gestellt. Insbesondere das sogenannte Offshoring mit langen Transportwegen und vielen Zwischenstationen sei besonders anfällig gewesen, weshalb im Einkauf Nearshoring Lösungen immer beliebter werden. Einkaufsexpertin Tanja Dammann-Götsch hat diesen Trend unter die Lupe genommen und zeigt, was dahintersteckt. Vorweg geht sie auf das bisher populäre Offshoring ein: „Beim Offshoring wird die Produktion ins weit entfernte Ausland verlagert. Besonders beliebt in Europa sind asiatische und südamerikanische Länder, da dort die Herstellungskosten vergleichsweise niedrig sind.“ Es habe sich allerdings gezeigt, dass dieser Vorteil auch mit Unsicherheiten und Schwachstellen beim Transport einhergehe. Viele Unternehmen tendierten daher zum Nearshoring, bei dem die Fertigungskapazitäten ins eigene oder ein nahegelegenes Land zurückgeholt werden. „In erster Linie soll es dadurch wieder mehr Kontrolle geben, da die Abhängigkeit von äußeren Umständen geringer und zeitgleich die Zuverlässigkeit der Versorgung mit Waren höher ist“, ergänzt Tanja Dammann-Götsch. Oftmals allerdings steigen durch eine Verlagerung der Fertigung ins eigene oder nahe Ausland die Produktionspreise, die sich aber durch geringere Transportkosten ausgleichen können. Auch seien die gestiegenen Energiepreise ein Antrieb dafür, warum sich Unternehmen mit Nearshoring befassen.
Zunächst geht Tanja Dammann-Götsch auf die Vorteile des Nearshorings ein. Dieses vereinfache beispielsweise die Kommunikation, was daran liege, dass man oft in einer ähnlichen, wenn nicht sogar der gleichen Zeitzone agiere, was schnellere Entscheidungen ermögliche. Zudem falle die Sprachbarriere geringer aus, da die meisten Menschen im europäischen Ausland über gute Englischkenntnisse verfügen, wohingegen im asiatischen Raum noch nicht alle so weit sind. „Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass sowohl der Transport der Waren als auch die Abläufe übersichtlicher sind und Unternehmen sich leichter erreichen lassen. In vielen Fällen ist es deutlich einfacher, wenn die Produkte nicht per Schiff, sondern über Straßen oder Züge transportiert werden können. Außerdem ist es für Unternehmensvertreter oder Einkäufer angenehmer, wenn sie keine stunden- oder gar tagelange Reisen auf sich nehmen müssen, um die Betriebe zu besuchen“, so Tanja Dammann-Götsch. Weitere Pluspunkte für das Nearshoring seien, dass weniger Missverständnisse aufgrund von kulturellen Unterschieden entstehen und die Umwelt geschont wird. Insbesondere der Klimawandel und die daraus entstehende Nachhaltigkeitsbewegung habe Verbraucher sensibilisiert und die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten und Dienstleistungen erhöht. Zudem achteten Unternehmen vermehrt auf ihren ökologischen Fußabdruck, der durch Nearshoring erheblich verkleinert werden kann.
Neben zahlreichen Vorteilen bringe das Nearshoring allerdings auch einige Nachteile mit sich. Einer davon zeige sich vor allem in der Verlagerung großer Produktionsanlagen oder Ähnlichem in ein neues Land. Dies sei mit erheblichen Veränderungen verbunden und gerade am Anfang gelte es, einige Hindernisse zu überwinden und Erfahrungen zu sammeln, was mitunter zeit- und kostenintensiv sein kann. Zudem könne es zu Verzögerungen im Betrieb kommen, wenn das Unternehmen nicht in der Lage sei, die Produktion auf dem neuen Markt aufzubauen, bevor der Betrieb im derzeitigen Land eingestellt wird. Auch das Finden neuer Partner stelle eine Herausforderung dar, wie Tanja Dammann-Götsch ausführt: „Wechselt ein Unternehmen in ein anderes Land, geht dies immer damit einher, dass alte Geschäftsbeziehungen beendet und neue geknüpft werden müssen. Das bedeutet, dass das nötige Vertrauen aufgebaut werden muss, was gerade in der Anfangszeit eine intensive Pflege der neuen Beziehungen voraussetzt.“ Nicht zuletzt gelte es beim Nearshoring auch, neue Fachkräfte zu finden, was mitunter viel Zeit und Kosten verursachen könne.
Abschließend zum Thema zieht Tanja Dammann-Götsch folgendes Fazit: „Nearshoring bringt sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Es ist durchaus dafür geeignet, Lieferketten resilienter und stabiler zu machen, doch es ist kein Selbstläufer. Aus diesem Grund empfehle ich Unternehmen, vorher abzuwägen, welche Strategie für sie am besten geeignet ist.“