Preisdrückerei im Sicherheitsgewerbe – „Konsequenzen aus Fehlleistungen müssen Auftraggebern wehtun“

Die Wirkungslosigkeit des „Lopez-Effekts“ im Sicherheitsgewerbe und Maßnahmen gegen die Preisdrückerei. Ein Interview mit dem “Marktplatz Sicherheit”

Sie sagen gerne von sich, dass Sie in der für Einkäufer härtesten Branche der Welt, nämlich der Automobilindustrie, gearbeitet haben und heute dort noch beratend tätig sind. Wären Sie verärgert, wenn ich behaupte, dass die Automobilindustrie im Vergleich zum Sicherheitsgewerbe Kinderkram ist?

Überhaupt nicht. Tatsächlich löse ich mit meiner Feststellung regelmäßig einen Wettbewerb um die härteste Branche aus. Auch die Lebensmittelindustrie hat ja einen entsprechenden Ruf. In jeder Branche stellen sich spezifische Herausforderungen, aber mit Blick auf den Einkauf gibt es durchaus ein paar Ausreißer. Das Sicherheitsgewerbe gehört auf jeden Fall dazu.

Um es grob vereinfacht auf den Punkt zu bringen: Beim Einkauf von Sicherheits-Dienstleistungen geht es in der Regel zuerst um den Preis, dann um den Preis und schließlich um den Preis. Qualität und Qualifikation des Personals spielen selten eine Rolle. Um eine Sicherheitsfirma aufzumachen, braucht es neben dem Gewerbeschein gerade mal eine mäßig anspruchsvolle Sachkundeprüfung bei der IHK. Vom verbindlichen Tariflohn haben gerade viele kleine Anbieter noch nichts gehört. Sicherheits-Dienstleister gelten als verwechselbar, auch weil selbst viele große Unternehmen mit dem Stichwort Marketing nicht wirklich etwas anfangen können. Die Branche selbst ist zu klein, um in der Politik einflussreiche Lobbyarbeit zu betreiben. Und die beiden einzigen relevanten Arbeitgeberverbände sind zwar hinter den Kulissen emsig, aber doch nicht willens oder in der Lage, wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

Sie zeichnen ein sehr negatives Bild der Branche…

Da haben Sie Recht. Aber ich zitiere vor allem Einschätzungen, die Führungskräfte aus der Branche selbst äußern – im Vier-Augen-Gespräch, versteht sich.

Die Branche und die Verbände müssen ein neues Denken entwickeln, um neue Wege gehen zu können. Das ist unbestritten und wird ja auch immer wieder gefordert. Erschreckend sind in der Analyse zwei Punkte: Zum einen, dass es die Branche offensichtlich nicht schafft, die Situation aus eigener Kraft wesentlich zu ändern, zum anderen, dass das eigentlich hohe Gut Sicherheit so wenig Wertschätzung erfährt, dass also die Kunden selbst kein Interesse an der Ware haben, die sie einkaufen. Das ist freilich eine arge Verallgemeinerung. Hier und da sollen auch schon Auftraggeber gesichtet worden sein, denen an guter Dienstleistung gelegen ist. Doch es bleibt natürlich dabei: Umdenken tut not. Gerade ich als Einkäuferin kann die richtigen Fragen stellen, um dabei zu unterstützen, ein neues, positives Bild der Branche und ihrer Betriebe gegenüber Einkäufern zu erzeugen.

Wenn Sie jetzt als Einkaufsexpertin einer Führungskraft, die ihr gesamtes Berufsleben im Sicherheitsgewerbe verbracht hat, schildern würden, wie die Einkaufswelt „da draußen“ aussieht – wie würde sich das anhören?

Sicherlich hat der eine oder andere schon mal vom „Lopez-Effekt“ gehört. Dieser gilt als Synonym für billige und oftmals mangelhafte Bauteile in der Automobilindustrie. José Ignacio López de Arriortúa hat Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre das Preisdrückertum erst bei Opel und dann bei VW zur obersten Direktive erklärt: Egal, was geliefert wurde – Hauptsache, zu einem reduzierten Preis. Die Einkäufer wurden entsprechend honoriert. Erst später hat man realisiert, dass das sehr kurzsichtig gedacht war, weil dann eben die Qualität nicht mehr stimmt – und die Kunden nicht mehr mitspielen. Das Wort, das auch heute selbst kleine Kinder mit Opel assoziieren, kommt ja nicht von ungefähr und zeigt, dass sich ein Imageproblem – ausgelöst durch eine falsche Einkaufsstrategie – über Jahrzehnte hält.

Im Sicherheitsgewerbe ist das kein Argument. Man kann nicht mal sagen: „Ist der Ruf erst ruiniert…“ Denn die Branche hat nicht einmal das – einen Ruf.

Dennoch gilt für Dienstleistungen in der Regel das gleiche wie für physische Produkte: Man muss einen guten Service einkaufen, um sein Image nicht zu gefährden.

Gegenbeispiele gefällig? Im Asylbewerberheim in Burbach wurden 2018 Bewohner von unqualifizierten Sicherheitskräften misshandelt. In der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen waren 2019 Wachleute eingesetzt, die zur Firma eines Rechtsextremen gehörten. Im Juli 2019 ergriffen während einer Großrazzia des Zolls nach dem „Audi Cup“ zahlreiche Sicherheitskräfte die Flucht, weil sie schwarz beschäftigt waren. Glauben Sie, dass das irgendeinen der Auftraggeber interessiert hat, von einem Umdenken der Einkäufer ganz zu schweigen?

Genau das ist der Punkt. Wenn Fehlverhalten keine Folgen hat, gibt es keinen Grund zur Besserung. Der „Lopez-Effekt“ hat einer Automarke das Image ruiniert. Aber zum Fußballspiel gehen die Leute weiterhin. Das lässt sich nur dadurch ändern, dass es den Auftraggebern richtig wehtut, wenn ihr Gebaren ans Licht kommt. Das ist im Sicherheitsgewerbe bislang nicht der Fall. Immerhin gibt es seit Jahren Erfolge in Sache Qualifizierung. Der BDSW macht beispielsweise Qualitätsstandards zur Bedingung für die Mitgliedschaft. Es gibt den Ausbildungsberuf zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit. Aber das alles führt natürlich nur zu einer Basisqualität, deren Wert relativ ist, weil sich am Ende kaum Kunden dafür interessieren, sondern nur dafür, ob die Mannstunde zwei Cent günstiger ist.

Dabei darf man den Schwarzen Peter nicht nur den Auftraggebern zuschieben. Wenn sich die Branche selbst konsequent an Vereinbarungen halten würde, wäre schon viel gewonnen. Es ist immer wieder vorgekommen, dass sich die Verantwortlichen der großen Player darauf geeinigt haben, sich bei Dumpingpreisen gegenseitig nicht auch noch zu unterbieten. Dann sind sie vom Verhandlungstisch aufgestanden und zum Kunden gerannt, um genau das zu tun: Dumpingpreise unterbieten.

Dagegen ist natürlich kein Kraut gewachsen, da können auch die Verbände nichts ausrichten. Was sie aber tun könnten: Massive Aufklärungsarbeit leisten und die Öffentlichkeit mit Informationen über Fehlverhalten penetrieren. Wenn man das richtig gut und professionell macht, dann lässt sich viel erreichen. Denn die Menschen wissen ja in der Regel nicht, was in dieser Branche eigentlich abgeht. Wenn ich ins Konzert gehe, in den Zug einsteige oder beim Eintritt zum Bürgerfest kontrolliert werde, gehe ich ja davon aus, dass da qualifiziertes Personal am Werk ist, das seinen Job versteht. Denn es geht ja letztlich um die Unversehrtheit von Leib und Leben. Darauf muss ich mich verlassen können. Wenn dies nicht gewährleistet ist, sollte ich das kontinuierlich öffentlich thematisieren – am konkreten Fall, zeitnah und vor Ort.

Der Verband wird zu Recht darauf hinweisen, dass es sehr schwer ist, mangelnde Qualifikation im Einzelfall nachzuweisen. Außerdem: Die Mitglieder der beiden Verbände sind ja Sicherheitsfirmen. Die werden kaum, auch nicht über den Umweg Verband, ihre potenziellen Kunden an den Pranger stellen und es sich so auf Ewigkeit mit ihnen verscherzen.

Die Lage des Einkaufs für Sicherheits-Dienstleistungen ist offensichtlich in vielen Fällen auf Steinzeitniveau: Man braucht was und zahlt nichts; es ist egal, was „hinten“ rauskommt, und Konsequenzen muss man als Auftraggeber keine fürchten.

Besser kann man es nicht zusammenfassen. Was aber sind Ihre Empfehlungen als Einkaufsexpertin, damit das eines weit entfernten Tages besser wird?

In anderen Branchen gelten Dienstleistungen als Empfehlungsgeschäft. Das heißt: Man hört sich bei anderen um und fragt nach Referenzen. Oberste Prämisse beim Einkauf von Dienstleistungen: Guter Preis – ja, das lässt sich nicht leugnen. Aber darüber hinaus gilt auch: Alles muss reibungslos laufen. Da spielt ja oft auch die Firmenkultur eine wichtige Rolle. Wenn ich als Einkäufer meiner Geschäftsleitung einen Dienstleister vorschlage und die interessiert sich nur für den Preis, werde ich den billigsten nehmen. Wenn aber die Geschäftsleitung auf Qualität achtet, muss ich eine Dienstleisterbewertung durchführen. So läuft es beispielsweise beim Einkauf von Ingenieursdienstleistung.

Welche Vorteile bietet es denn der Branche generell, sich mit der Qualitätsfrage im Einkauf ihrer Kunden auseinanderzusetzen, wenn man die Hoffnung zumindest nicht ganz aufgegeben hat?

Der moderne strategische Einkäufer schaut sich auch bei Dienstleistungen die Themen Preis, Technologie, Service, Nachhaltigkeit und Innovation an. Wenn man sich also mit dem Thema Einkauf und auch damit auseinandersetzt, wie die Branche nach außen hin wahrgenommen wird, ist das ein ganz bedeutender Punkt. Es ist wichtig, dass ein Einkäufer einbezogen wird, um sich auch mal die Prozesse genau anzusehen und eben nicht nur auf den Preis zu schielen, sondern weiterzudenken, was die Themen Qualität und Anerkennung der Arbeit angeht. Das ist schlichtweg Risikominimierung – dahingehend, dass das Gesamtbild betrachtet wird. Wie zufrieden bin ich mit der Arbeit des Sicherheits-Dienstleisters? Wie gut sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebildet? Welche Möglichkeiten gibt es mit Blick auf Technologien und Innovationen? Es gibt ja heute die tollsten Apps und Geräte für Überwachungsleistungen. Auch das sollte man sich anschauen. Und sind wir dann auch schon beim Thema Innovation. Das ist ja die ureigenste Aufgabe des Einkäufers von heute: neben dem Preis auch solche Aspekte zu bewerten und über einen bestimmten Prozentsatz zu gewichten. Deswegen sollte sich auf jeden Fall die Sicherheitsbranche mit dem Thema Einkauf und Qualität auseinandersetzen, gerade wenn die Insider wissen, wie es um den Ruf der Branche bestellt ist.

Welche Folgen hat es, wenn sie es nicht tut?

Dann passiert genau das, was Sie gerade beschreiben haben: dass einfach nur der Cent hinter dem Komma zählt. Dass die Branche keinen oder keinen guten Ruf hat, finde ich sehr, sehr schade, denn sie übernimmt eine höchst wichtige Aufgabe. Ich finde, dass sich die Branche das selbst wert sein sollte.

Hinzu kommt, dass die Branche – mit Ausnahmen natürlich –, wenig Anstalten macht, über den Tellerrand zu schauen. So wenig wie die Anbieter sich bemüßigt fühlen, mal richtig gute Werbung zu machen, so wenig kämen sie je auf die Idee, einen Einkaufsberater zu Rate zu ziehen.

In der Automobilindustrie und anderen Branchen habe ich schon harte Nüsse geknackt. Für mich wäre es in der Tat eine persönliche Herausforderung, mal beim Verhandlungsgespräch eines Sicherheits-Dienstleisters dabei zu sein. Ich bin sicher, dass ich dann eine wirkungsvolle Strategie entwickeln könnte, die dem Dienstleister das Verhandlungsgeschäft erleichtert und zugleich seinem Kunden Vorteile bringt. „Win/Win“ ist möglich. Dafür muss man aber auch bereit sein, neue Wege zu gehen.

Das Interview führte Marcus Heide / Martkplatz Sicherheit
https://marktplatz-sicherheit.de


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