Shoring – Beschaffungsstrategien im Einkauf

Beschaffungsstrategien sind höchst individuell. Das liegt nicht nur in der jeweiligen Branche und Ausgangssituation eines Unternehmens begründet, sondern auch in den spezifischen Zielen, Fertigungsprozessen, notwendigen Roh- bzw. Baustoffen und in der Vermarktung. Für Einkäufer lohnt es sich daher, alle Sourcing-Möglichkeiten zu kennen, denn eine gute Strategie reduziert oder vermeidet Abhängigkeiten, sorgt für eine gute Verhandlungsposition und stärkt die Nachhaltigkeit im Allgemeinen und in der Beziehung zum Lieferanten im Besonderen.

Ausgelöst durch die Coronapandemie und verschärft durch den Ukraine-Krieg sind zahllose global verknüpfte Lieferketten ins Wanken geraten. Insbesondere die Schwachstellen des sogenannten Offshoring, bei dem die Produktion aufgrund der niedrigen Herstellungskosten ins weit entfernte Ausland verlagert wird, traten in diesen Zeiten deutlich hervor.

Nearshoring als aktueller Einkaufstrend

Als Gegenentwurf zum Offshoring setzen Unternehmen daher vermehrt auf das Nearshoring und ziehen sich – nicht zuletzt aufgrund des Lieferkettengesetzes – aus fernen Ländern wie Afrika zurück. Stattdessen wird verstärkt auf Fertigungskapazitäten im eigenen oder in einem nahe gelegenen Land gesetzt. Der Trend zum Nearshoring mit einer zuverlässigeren Warenversorgung sorgt für eine größere Kontrolle und geringere Abhängigkeit von äußeren Umständen. Zugleich können gestiegene Produktionspreise durch geringere Transportkosten ausgeglichen werden.

Die Vorteile des Nearshoring

Vereinfachte Kommunikation
Die Fertigung in einem nahegelegenen Land verbessert die Kommunikation durch die nähere bzw. gleiche Zeitzone sowie eine niedrige Sprachbarriere und die im europäischen Ausland oft vorhandenen guten Englischkenntnisse.

Bessere Erreichbarkeit
Der Warentransport und die logistischen Abläufe können im Nearshoring übersichtlicher gestaltet werden. Unternehmen sind leichter erreichbar und Produkte werden oft über Straße oder Schiene statt per Schiff transportiert.

Gemeinsames Verständnis
Die kulturellen Unterschiede zu anderen europäischen Ländern sind nicht so drastisch wie zum Beispiel zum asiatischen oder südamerikanischen Raum, wodurch weniger Missverständnisse entstehen.

Schonung der Umwelt
Die kürzeren Transportwege schonen die Umwelt und entsprechen damit der durch den Klimawandel entstandenen Nachhaltigkeitsbewegung. So werden Unternehmen der erhöhten Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten und Dienstleistungen gerecht und reduzieren den eigenen ökologischen Fußabdruck.

Die Nachteile des Nearshoring

Überwindung von Hindernissen
Werden Produktionsanlagen o. Ä. in ein neues Land verlagert, birgt das zeit- und kostenintensive logistische Herausforderungen.

Verzögerungen im Betrieb
Eine gute und genaue Planung ist das A und O beim Nearshoring, denn die Produktion auf dem neuen Markt muss aufgebaut sein, bevor der Betrieb im derzeitigen Land eingestellt wird, um Verzögerungen im Betrieb zu vermeiden.

Neue Partner finden
Beim Länderwechsel müssen alte Geschäftsbeziehungen beendet und neue geknüpft werden, was den Aufbau einer Vertrauensbasis und eine intensive Pflege der neuen Beziehungen erfordert.

Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel stellt in vielen Ländern ein großes Problem dar. Die erforderlichen Mitarbeitenden am neuen Markt zu finden, kann sehr herausfordernd sein.

Nearshoring als Strategie für stabile Lieferketten

Die Dezemberausgabe von „MBI – Einkäufer im Markt“ Nr. 23 aus dem Jahr 2022 greift ein Praxisbeispiel aus der Bauwirtschaft auf. Es geht um das Unternehmen Strabag, das sich wegen des Lieferkettengesetzes* aus Afrika zurückzieht, da für ein Projekt mit zwei Jahren Bauzeit ca. 1.000 Produkte, Ersatzteile und Baumaterialien von unterschiedlichen Lieferanten benötigt werden. Zur Kontrolle sämtlicher unmittelbarer lokaler Zulieferer müssten mehr Mitarbeitende angestellt werden. Das Beispiel zeigt sowohl, in welchen Fällen Nearshoring-Strategien in Zukunft durchaus greifen können als auch, dass der Faktor M bei Entscheidungen oft noch ausgeklammert wird.

Zusammenfassend ist deutlich geworden: Nearshoring kann für resilientere und stabilere Lieferketten sorgen, ist jedoch kein Selbstläufer und bringt auch Nachteile mit sich. Aus diesem Grund empfehle ich Unternehmen eine gründliche Abwägung der Vor- und Nachteile von Off-, Near- oder Reshoring für die eigene, spezifische Ausgangslage.

Die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Einkaufsstrategien beschreibe ich auch in meinem aktuellen Buch

„Der Einkauf im Wandel: Innovativ und krisenfest die Zukunft gestalten“. Natürlich informiere ich Sie gern in einem kostenlosen Termin oder auf LinkedIn zu den Themen Off-, Near- und Reshoring.

Mehr zu diesem und anderen Themen für zukunftssichere Strategien im Einkauf gibt es auch zum Nachhören in meinem Podcast.

*Mit dem Lieferkettengesetz, das Anfang 2023 in Kraft getreten ist, sollen große Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards und Umweltschutz entlang der Lieferkette verpflichtet werden. Das deutsche Gesetz gilt aktuell für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, ab 2024 werden dann auch Firmen ab 1.000 Mitarbeitern in die Pflicht genommen. Zudem wird in der EU bereits über eine schärfere Regulierung verhandelt.


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*Der einfacheren Lesbarkeit halber verwenden wir auf dieser Website das generische Maskulinum. Es ist uns wichtig zu betonen, dass alle Geschlechter sich gleichermaßen angesprochen und willkommen fühlen dürfen.