Was zählt in der Verhandlungsführung
Einblicke in führende Strategien im Einkauf der Automobilindustrie
Die Situation des Einkäufers in der Automobilindustrie hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die weltweiten Rückrufaktionen sind nur die Spitze des Eisbergs. Alle Probleme hängen damit zusammen, dass über Jahrzehnte die Qualität dem Preis untergeordnet wurde. Inzwischen haben die führenden Automobilhersteller erkannt, dass dem entgegengewirkt werden muss. Eine strategische Neuausrichtung des Einkaufs, die sich an langfristigen Unternehmenszielen orientiert, wird wesentlich zu einer solchen 180-Grad-Wende beitragen. Autorin Tanja Dammann-Götsch zeigt in ihrem Gastbeitrag Wege aus der Krise der Preisdumpingpolitik. Im Zentrum ihrer Ausführungen stehen hierbei die Verhandlungsvorbereitung und die Verhandlungsführung sowie ihre These, dass sich langfristige Unternehmensziele künftig nur durch partnerschaftliche Verhandlungen mit Lieferanten erreichen lassen. Die Eckpunkte ihrer Win-win-Strategie, von der beide Seiten in einer Verhandlung profitieren, werden im Folgenden aufgezeigt.
Wie Einkäufer sich neu positionieren
Ganz gleich ob ein Einkäufer vor einer Verhandlung mit einem Lieferanten steht oder vor einem wichtigen Gespräch mit internen Vertriebsmanagern, entscheidend ist, dass er sich seiner Rolle als verantwortlicher Unternehmens(mit)gestalter vollkommen bewusst ist. Wer nur Preisvorstellungen im Kopf hat, wird keine optimalen Ergebnisse verbuchen können. Dafür ist das Feld der Beschaffung viel zu komplex geworden. Ein professioneller Einkäufer muss die gesamte Klaviatur beherrschen, um langfristige unternehmerische Ziele gemeinsam mit den Verhandlungspartnern erreichen zu können. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die strategische Verhandlungsvorbereitung. Denn ohne sie kann es keine Verhandlungsführung geben.
Den Hot Button vermeiden
Man trifft sich mindestens zweimal im Einkäuferleben. Jedenfalls ist das in der Automobilindustrie der Fall. Partnerschaftliches Verhandeln ist daher ein unbedingtes Muss. Ein Profi-Einkäufer hütet sich davor, die „Hot Buttons“ zu drücken, d. h. sein Gegenüber bloßzustellen oder zu provozieren. Denn niemand vergisst oder verzeiht einen Gesichtsverlust. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht. Wer nur Zahlen sieht, der steht manchmal schneller auf dem Fuß des anderen als beabsichtigt. Es ist hinlänglich bekannt, dass nur 20 % auf der Sachebene kommuniziert wird, 80 % dagegen auf der meist unbewussten emotionalen Ebene. Die schnelle Einschätzung des Gegenübers und seiner zugrunde liegenden (unbewussten) Motive sollte während der Verhandlungsvorbereitung eingeübt werden. Auch die Kenntnis der eigenen Handlungsmotivation hilft, Missverständnisse zu vermeiden und mit seinem Verhandlungspartner besser zu kommunizieren. Zum Erfahrungsschatz eines professionellen Einkäufers gehört es zum Beispiel, dass eine Person, der Prestige enorm wichtig ist, eine Verhandlung als Erfolg in ihrem Sinne verbuchen muss. Härte wäre daher in diesem Fall die falsche Strategie.
Mehr als nur ein einziges monetäres Ziel
Das wird nicht jedem gefallen, doch auch der beste Preis ist relativ. Es ist von unschätzbarem Wert, vor einer Verhandlung nicht nur eine einzige Zahl im Kopf zu haben. Differenzieren Sie vielmehr: nach dem Eröffnungsangebot, also dem Preis, mit dem Ihr Verhandlungspartner Ihrer Einschätzung nach beginnen wird einerseits, andererseits nach Ihrem minimalen Ziel, nach Ihrem realistischen und maximalen Ziel sowie nach Ihrem Maximal-plus-Ziel. Letzteres ist der Preis, von dem Sie kaum zu träumen gewagt haben. Ordnen Sie jedem Ziel eine Zahl zu und schreiben Sie diese auf. Und haben Sie „Ihre“ Zahlen bei der Verhandlung im Kopf.
Informationsziele nicht unterschätzen
Informationen sind unbezahlbar. Was möchten Sie wissen? Was darf der andere von Ihnen erfahren und was auf keinen Fall? Erarbeiten Sie Ihre Antworten diesbezüglich detailliert im Vorfeld. Denken Sie auch daran, dass Geben und Nehmen sich die Waage halten müssen. Wer viel von sich oder seinem Unternehmen preisgibt, ohne eine Gegeninformation einzufordern, hat die Verhandlungsführung abgegeben.
Verhandlungsprozess von A bis Z
Wie verschieden die Verhandlungsgegenstände auch sein und wie sehr die Etatvolumina auch variieren mögen, immer gelten bestimmte Regeln im Verhandlungsprozess, an die sich der Einkäufer halten muss. Notwendigerweise machen Sie sich mit allen Stationen des Verhandlungsprozesses vertraut und lernen sie zu beherrschen. Kein Schritt darf ausgelassen werden. Wer die Eröffnung verpatzt und beispielsweise die Small-Talk-Phase zu Beginn einer Verhandlung missachtet und stattdessen aus Nervosität oder Zeitmangel gleich zur Sache kommt, wird erfahrungsgemäß kein exzellentes Ergebnis erzielen.
Alternativen zum Preis erarbeiten
Einer der wichtigsten Aspekte in der Verhandlungsvorbereitung ist es, sich Alternativen zum Preis zu überlegen. Mindestens 5 Alternativen zu seinem Wunschpreis muss ein professioneller Einkäufer parat haben: ob es sich hierbei um eine kostenlose Musterlieferung, eine spezielle Serviceleistung, bessere Zahlungsbedingungen oder die Bereitstellung eines Resident Engineers handelt. Warum das so wichtig ist, liegt auf der Hand. Sie verschaffen sich Freiraum in der Verhandlung und geben den Ball an den Verhandlungspartner weiter. Häufig entstehen hieraus strukturelle Verbesserungen, die sich langfristig positiv auf die Produktion und somit auch auf das Image des Unternehmens auswirken.
Die eigene Verhandlungsmacht richtig einschätzen
Manche Einkäufer unterschätzen ihre Verhandlungsmacht, vor allem bei internen Meetings gegenüber dem Vertrieb. Das schwächt nicht nur die eigene Person, sondern mindert auch die Chancen, gemeinsam für mehr Qualität einzustehen. Noch viel häufiger verhält es sich – zumindest in der Automobilbranche gegenüber Lieferanten – so, dass die eigene Machtposition oder die des Unternehmens, das man vertritt, überschätzt wird. Gesunder Realismus und eine präzise Faktenkenntnis sind hier hilfreich. Zudem sollte sich der Einkäufer vergegenwärtigen, dass das Machtverhältnis in einer Verhandlung auch kippen kann. Darauf sollten Sie ebenfalls vorbereitet sein.
Überraschungen einplanen
Wie reagieren, wenn der Verhandlungspartner uns überrascht? So ist es vor einigen Jahren bei einem der größten Automobilhersteller geschehen: Stellen Sie sich eine Jahresverhandlung mit einem der wichtigsten Lieferanten vor, das komplette Einkaufsmanagement ist anwesend und wähnt sich in einer guten Verhandlungsposition. Es geht um ein Einkaufsvolumen von mehreren Millionen Euro. Die Tür geht auf, der Geschäftsführer des Zulieferunternehmens betritt den Raum, wirft ein dickes Paket Rechnungen auf den Tisch und sagt: „Wenn diese Rechnungen bezahlt sind, dann können wir mit den Verhandlungen beginnen.“ Darauf war seinerzeit keiner vorbereitet. Heute gehört es zum „Einkäuferwissen“, dass Verhandelnde auch auf Überraschungen vorbereitet sein müssen, um diese umgehend entschärfen zu können. Anstatt voreilig zu reagieren und ggf. Zugeständnisse zu machen, die Sie hinterher bereuen, unterbrechen Sie oder beenden sie die Verhandlung. Alles besser, als falsche Zusagen zu machen, die nicht eingehalten werden können und die Sie später nur mit Gesichtsverlust zurücknehmen können.
Am Echtfall üben
Grau ist alle Theorie. Verhandlungssicherheit gewinnen Sie nur am konkreten Fall. Der lässt sich vorbereiten, durchspielen, prüfen und verbessern, bis alles sitzt. Ein wichtiges Tool hierbei ist die von der PURCHASING PARTNER Academy entwickelte RoadMINDMap©. Darunter ist die komplette Strategie für einen realen Fall zu verstehen. Sie enthält alle hier aufgelisteten relevanten Aspekte der Verhandlungsvorbereitung und noch einiges mehr. Und sie passt auf einen Bierdeckel.
Mit Navi in die Verhandlung – die RoadMINDMap©
Die für den konkreten Praxisfall erarbeitete RoadMINDMap© wird mehr und mehr beim Üben verinnerlicht und in der Verhandlung abgerufen. Als mentale Unterstützung nimmt sie der professionelle Einkäufer mit in die Verhandlung. Sie gehört allerdings nicht auf den Verhandlungstisch. Das hätte fatale Folgen. Denn wer lässt sich schon gern in die Karten schauen? Der Routenplaner, der den Einkäufer durch die Verhandlung zum strategischen Ziel navigiert, sitzt im Kopf.
Beim Erarbeiten der inneren „Roadmap“ kommen anerkannte Trainingsmethoden zum Einsatz, die sich am Harvard-Konzept des sachbezogenen Verhandelns orientieren. Verfolgt wird eine Win-win-Strategie, die einen größtmöglichen beiderseitigen Nutzen anstrebt. Ein solches Ergebnis bringt allen beteiligten Verhandlungspartnern nur Vorteile.