Die Zukunft des Einkaufs im Hotelgewerbe – Till Runte von Certified im Gespräch mit Tanja Dammann-Götsch Teil 1

Die Welt des Einkaufs im Hotelgewerbe hat sich in den letzten Jahren zu einem komplexen und dynamischen Spielfeld entwickelt. Die aktuellen globalen Entwicklungen und die steigenden Ansprüche der Gäste stellen sowohl etablierte Hotelketten als auch inhabergeführte Privathotels vor neue Herausforderungen – und Chancen. Im Interview mit Till Runte von Certified gebe ich Einblicke in ebendiese Herausforderungen und Chancen und erläutere, wie Akteure in der Hotelbranche die aktuellen Entwicklungen meistern können. In Teil 1 des Interviews konzentrieren wir uns auf die Perspektive „Wie tickt der Einkäufer?“.

Einkaufsverhalten ist ein faszinierendes Thema, das die Grundlage für erfolgreiche Geschäftsstrategien bildet, und ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Unternehmen – auch im Hotelgewerbe. Welche Faktoren spielen bei der Kaufentscheidung eine Rolle in Bezug auf Hotels und ihre Verfügbarkeit, ihren Preis und ihre Lage?

Bei der Kaufentscheidung für Hotels spielen verschiedene Faktoren eine entscheidende Rolle, darunter insbesondere der Service. Besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen ist die Präferenz für Hotels spürbar. Plattformen wie booking.com oder ähnliche haben uns in der Art, wie wir Geschäftsreisen planen, stark beeinflusst. In Zeiten des schnellen Handelns streben wir danach, die Buchung auf unserem Smartphone auf ein Minimum zu reduzieren. Dabei schätzen wir es dann insbesondere, wenn uns Optionen wie Mietwagen, Restaurantempfehlungen oder Shuttle-Services angeboten werden. In der heutigen schnelllebigen Unternehmenswelt, in der Geschäftsführer und Abteilungsleiter bereits überbelastet sind, ist ein reibungsloser Ablauf der Reiseplanung von großer Bedeutung. Niemand möchte sich da mehr mit unnötigen Details beschäftigen müssen. Die Lage ist einweiterer relevanter Faktor, insbesondere wenn internationale Gäste berücksichtigt werden. Nähe zum Flughafen, um die Reiseeffizienz zu steigern, ist hierbei eines der entscheidendsten Merkmale. Die Erreichbarkeit von Geschäftsterminen undVeranstaltungsorten spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. In einer Zeit, in der Zeitmanagement und Digitalisierung eine immer größere Bedeutung haben, ist die Rolle dieser Aspekte im Hotelgewerbe nicht zu unterschätzen.

Große Unternehmen sind permanent dabei, ihre Kosten zu optimieren. Bedeutet das gleichzeitig, dass der Preis sinken muss?

An dieser Stelle muss ich betonen, dass nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) ständig bestrebt sind, ihre Kosten zu optimieren. Es ist aber nicht zwingend so, dass dies automatisch zu Preissenkungen führt. In diesem Zusammenhang verweise ich gerne auf einen Abschnitt in meinem Buch „Einkauf im Wandel“ auf Seite 35, der die Big Five des Einkaufs betrachtet. Diese Big Five umfassen den Preis, den Service, die Technologie, die Qualität und die Nachhaltigkeit. Diese Faktoren sind eng miteinander verknüpft und haben auch immer etwas mit Innovation zu tun. Und ich bin der festen Überzeugung, dass dies nicht nur in der Industrie der Fall ist, sondern dass diese Prinzipien auch in der Hotellerie und bei den dort benötigten, in der Regel indirekten Materialien wie der Versorgung der Küche, dem Haus-Service oder der Rezeption eine bedeutende Rolle spielen. Hierbei handelt es sich um eine Kombination aus Preisgestaltung, Servicequalität, technologischer Integration (zum Beispiel durch das Einführen einer benutzerfreundlichen App), Qualitätsstandards und Nachhaltigkeitsbemühungen. Unternehmen streben zweifellos nach Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen. Jedoch können diese Optimierungen nur erreicht werden, wenn sie sich gleichzeitig auf diese wichtigen Aspekte der Big Five konzentrieren. Bietet ein Unternehmen einen hervorragenden Service, gewährleistet Kundenfreundlichkeit bei Reservierungen und Buchungen, bietet eine hohe Produktqualität, schafft ein rundum angenehmes Erlebnis für seine Gäste und berücksichtigt dabei nachhaltige Praktiken, kann dies langfristig zu einer effektiven Kostenoptimierung führen.

Macht es sich der Einkäufer einfach, indem er gerne Rahmenverträge mit Hotelketten schließt (und dadurch weniger Arbeit hat)?

Ja, definitiv. Die Nutzung von Rahmenverträgen mit Hotelketten ist eine Praxis, die immer häufiger Anwendung findet, insbesondere im Rahmen des indirekten Einkaufs. Diese Verträge werden im Rahmen strategischer Ausrichtungen verhandelt, die von Unternehmen zu Unternehmen variieren können. Im indirekten Einkauf stehen mittlerweile verschiedene Plattformen und Datenbanken zur Verfügung, auf denen zwei bis drei Hotels oder Hotelketten zur Auswahl stehen. Auf diese Weise können Mitarbeitende direkt im Betrieb buchen, und die Buchungsinformationen werden nahtlos in das ERP-System des Einkaufs integriert. Es ist wichtig zu beachten, dass Rahmenvertragsverhandlungen in der Regel mehr Zeit in Anspruch nehmen, da es sich um bedeutende Vereinbarungen handelt, bei denen oft auf die Rechtsabteilung des Unternehmens involviert ist. Solche Verhandlungen können jährlich oder je nach Vertragslaufzeit stattfinden. Insgesamt erleichtern sie den Einkaufsprozess abererheblich und tragen zur Digitalisierung des Einkaufs bei, indem sie die Möglichkeit bieten, Buchungen und Transaktionen mit einem Knopfdruck abzuwickeln. Dies beschleunigt den Prozess und ermöglicht eine effiziente Beschaffung, insbesondere im Bereich des indirekten Einkaufs.

Wie kann man als „inhabergeführtes Privathotel“ bei großen Firmen punkten? Muss man dazu in einem Buchungstool vertreten sein?

Um als inhabergeführtes Privathotel bei großen Firmen zu punkten, ist eine Präsenz in Buchungstools durchaus vorteilhaft. Hier handelt es sich um eine Möglichkeit, die Sichtbarkeit des Hotels zu erhöhen und Geschäftsreisende anzusprechen. Es ermöglicht Unternehmen, die Unterkunft einfach und effizient zu buchen, was für Geschäftsreisende wie bereits erwähnt in der Regel eine Priorität ist. Eine solche Präsenz kann Ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen und Ihre Chancen erhöhen, von großen Firmen ausgewählt zu werden. Es ist jedoch auch wichtig, darüber hinaus herausragenden Service, wettbewerbsfähige Preise und gegebenenfalls besondere Angebote anzubieten, um bei ebendiesen Kunden zu punkten.

Spielt in der heutigen Zeit eigentlich der persönliche Kontakt noch eine Rolle?

In der heutigen Geschäftswelt spielt der persönliche Kontakt eine äußerst wichtige Rolle, insbesondere während der Phase der Geschäftsanbahnungen. Dies gilt ebenso während der Verhandlung von Rahmenverträgen, in denen die grundlegenden Vereinbarungen festgelegt werden, sowie bei auftretenden Problemen. In diesen Momenten ist der persönliche Austausch von essenzieller Bedeutung. Abgesehen von diesen Phasen ist es jedoch entscheidend, dass die Interaktion zwischen Einkäufer und Hoteliers oder den entsprechenden Büros reibungslos und effizient verläuft. In diesen Situationen sollte alles schnell und problemlos funktionieren, da Geschäftsreisende und Einkäufer oft auf eine effiziente Abwicklung angewiesen sind.

Wie stark prägt Compliance das Auswahlverfahren? Früher waren ja Einladungen und sogenannte Famtrips gang und gäbe.

Das Auswahlverfahren und insbesondere das Thema Compliance haben sich in den letzten drei bis vier Jahren erheblich verschärft. Früher waren Einladungen und sogenannte Famtrips üblicher, aber heute ist Vorsicht geboten. Es ist wichtig, innerhalb der steuerlichen Vorschriften zu bleiben, da Verstöße schnell zu Entlassungen führen können, wenn Einkäufer oder Team unzulässige Angebote annehmen. Zusätzlich dazu haben sich die Möglichkeiten für Hotels und Verkäufer aus anderen Branchen, derartige Veranstaltungen anzubieten, stark verringert. Insgesamt hat sich die Situation in diesem Bereich erheblich gewandelt und erfordert ein striktes Einhalten der Compliance-Richtlinien.

Sind Bewertungsportale wie Holiday Check etc. ein relevanter Indikator?

Ja, ich würde definitiv sagen, dass Bewertungsportale wie Holiday Check oder ähnliche Plattformen relevante Indikatoren sind. Insbesondere im Hotelgeschäft ist es von großer Bedeutung, schnell und effektiv Internetrecherchen durchzuführen, sowohl für Einkäufer als auch für Verantwortliche im Hotelmanagement. Ich denke, dass Bewertungsportale also einen entscheidenden Faktor darstellen. Als Einkäufer oder verantwortliche Person für das Hotelwesen bevorzugen wir außerdem oft die Zusammenarbeit mit zertifizierten Hotels. Das hilft uns, potenzielle Probleme und Beschwerden im Unternehmen zu vermeiden, insbesondere wenn es um die höheren Ebenen wie die Geschäftsleitung, den Vorstand und andere Abteilungsleiter geht.

Ist ein Zertifizierungssystem wie Certified dem Einkäufer zu kompliziert oder ist die Funktionsweise und Systematik leicht verständlich?

Ich denke, sobald man sich mit dem Zertifizierungssystem vertraut gemacht hat, ist es leicht und verständlich. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob in allen Industrieunternehmen bereits ein Bewusstsein für solche Zertifizierungen wie „Certified“ vorhanden ist. In diesem Zusammenhang könnte effektives Marketing eine entscheidende Rolle spielen, um dieses Verständnis und die Akzeptanz für derartige Zertifikate zu fördern.

Sind Einkäufer offen für Informationen und Impulse oder verlassen sie sich eher auf „Verbandsempfehlungen“ (also von eigenen Branchen-Fachverbänden oder übergeordneten Einkaufsverbänden wie BME)?

Meiner Erfahrung nach kommt es nur selten vor, dass indirekte Einkäufer, die sich mit dem Thema Hotel beschäftigen, an den BME denken. In der Regel würde ich zunächst auf persönliche Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zurückgreifen. Darüber hinaus würde ich im Internet verschiedene Plattformen konsultieren, jedoch nicht unbedingt auf Empfehlungen von Branchenverbänden vertrauen.

Ist der Einkäufer ein „selbstdenkender“ Mensch und erkundigt sich auch in der Tiefe, oder ist er lediglich ausführendes Objekt, das einen konkreten Bedarfsauftrag ausführt? Wen müsste man daher kontaktieren und abholen? Den internen Auftraggeber und/oder nur den Einkauf?

Gut, der Einkäufer verfolgt ja eine vorgegebene Strategie, die im Zusammenhang mit den Big Five im Einkauf steht. Er ist zweifellos ein selbstständig denkender Mensch, der jedoch stets die Bedürfnisse und Anforderungen seines eigenen Unternehmens im Blick hat. Im Falle von Problemen oder Unregelmäßigkeiten ist er oft die erste Anlaufstelle für Reklamationen und muss dementsprechend in der Lage sein, die internen Auftraggeber, wie beispielsweise die Vorstandssekretärin, die Marketing-Abteilung oder die Personalabteilung, zu kontaktieren und zu unterstützen. Es ist jedoch festzustellen, dass Einkäufer im Normalfall nicht erfreut sind, wenn andere Fachabteilungen bereits Kontakte ohne ihre Beteiligung knüpfen. Dies geschieht jedoch in der Praxis oft und sollte berücksichtigt werden. Insbesondere die Vorstandssekretärin kann intern eine erhebliche Einflussmöglichkeit haben.

Das Thema „Fürsorgepflicht des Arbeitgebers“ spielt auch im Einkauf eine belastbare Rolle, oder eher nur der Preis? Ist ein extern vergebenes Qualitätssiegel hier eine Argumentationshilfe?

Ich hatte ja bereits zu Beginn erwähnt, dass nicht nur der Preis eine Rolle spielt. Neben dem Preis ist auch der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eine bedeutsame Rolle im Einkaufzuzuweisen. Ein extern vergebenes Qualitätssiegel kann hier durchaus als Argumentationshilfe dienen und einen Mehrwert bieten.

Das Interview als Podcast finden Sie hier. Teil 2 des Interviews wird sich mit den Perspektiven „Ich will als Verkäufer den Preis halten oder erhöhen.“ und „Alles normal oder doch mal anders?“ beschäftigen. Lassen Sie uns gerne über das Thema sprechen, via LinkedIn oder in einem kostenlosen Termin. Weitere spannende Themen finden Sie außerdem in meinem Buch „Der Einkauf im Wandel: Innovativ und krisenfest die Zukunft gestalten“.

Mehr über zukunftssichere Strategien im Einkauf gibt es auch zum Nachhören in meinem Podcast.


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  • Kernfragen der Digitalisierung
  • Arbeitsblatt: "Vorarbeit zur Digitalisierung"
  • Realitätscheck: Alles nur Wunschdenken
  • Einen fehlerhaften Prozess digitalisieren
  • Wozu überhaupt digitalisieren?
  • Künstliche Intelligenz – Strohfeuer oder Dauerbrenner?

*Der einfacheren Lesbarkeit halber verwenden wir auf dieser Website das generische Maskulinum. Es ist uns wichtig zu betonen, dass alle Geschlechter sich gleichermaßen angesprochen und willkommen fühlen dürfen.